Als neuronale Plastizität bezeichnet man die Eigenschaft einzelner Synapsen, Nervenzellen oder ganzer Gehirnareale sich in Abhängigkeit von ihrer Nutzung zu verändern und zu optimieren.
Dabei handelt es sich zunächst um einen natürlicher Prozess, der es dem Organismus ermöglicht, sich äußeren Veränderungen anzupassen und auf neue Herausforderungen zu reagieren. Plastizität ist damit die Grundlage aller Lernprozesse. Im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gaben Forschungen immer mehr Aufschluss über die plastische Formbarkeit des Gehirns, selbst weit in das Erwachsenenalter hinein.
Es ist nicht zu leugnen, Alter geht auch mit Abbau einher. So verändern sich mit höherem Alter Gewicht, Struktur sowie die Arbeitsweise unseres Gehirns. Auch der neuronale Informationsaustausch gerät ein wenig ins Stocken. Typische Aussagen, die vermeintlich auf diese Veränderungen hinweisen, sind: „Das ging mir früher aber leichter von der Hand.“ Oder: „Ich schreibe mir jetzt immer Zettel, damit ich nichts vergesse.“ Mit fortschreitendem Alter leiden das Erinnerungsvermögen und die Reaktionsgeschwindigkeit.
Schlechte Aussichten für das Alter? Nicht ganz! Um neuronale Verluste auszugleichen, haben wir einige Kompensationsstrategien entwickelt – sozusagen die Merkzettel im Gehirn. Möglich ist dies durch die Trainierbarkeit und damit Formbarkeit bestimmter Gehirnareale, die neuronale Plastizität. Ständig wird unser Gehirn gefordert. Es reagiert auf die vielen unterschiedlichen Reize in unserer Umgebung, auf Berührung, Gerüche oder auf die Bewegungen unseres Körpers. Dabei verändert sich das Gehirn durch jede Erfahrung, kurzfristig oder langfristig. Es passt sich sozusagen den Erfordernissen der Umwelt an. Neuronale Plastizität ist auch der Grund, warum wir lernen, Gedanken speichern und verlorene Fähigkeiten durch andere ersetzen können. Die gute Nachricht: Das funktioniert in jedem Alter (1).
Das Gehirn bleibt lernfähig, ein Leben lang – vorausgesetzt, wir stehen nicht still!
Test zu neuronaler Plastizität mit Vergrößerung bestimmter kortikaler Gehirnareale:
Ein interessanter Test bestätigt, dass die bloße Vorstellung Hirnreale vergrößern lässt: Alvaro Pascual-Leone, spanischer Professor für Neurologie an der Harvard Medical School, stellte fest, dass die kortikalen Karten der Finger bei einem täglichen zweistündigen Training einer Klavierfingerübung nach einer Woche deutlich an Größe zunahmen. Das Erstaunliche dabei: Nicht nur die rein mechanische Übung brachte das Gehirn auf Trab. Allein die Vorstellung vom Üben führte zu einer Vergrößerung des Fingerareals im Großhirn (2).
Quellen:
(1)
Draganski, B., & May, A. (2008). Training-induced structural changes in the adult human brain. Behavioral Brain Research, 192, 137-142.
Fjell, A.M. & Walhovd, K.B. (2010). Structural brain changes in aging, courses, causes and cognitive consequences. Rev Neurosci, 21 (3): 187-221.
Holtmaat, A., & Svoboda, K. (2009). Experience-dependent structural synaptic plasticity in the mammalian brain. Nature Reviews Neuroscience, 10 (9), 647-658.
Mercado III, E. (2008). Neural and cognitive plasticity: From maps to minds. Psychological Bulletin, 134(1), 109-137.
Salthouse, T. A., (2011). Neuroanatomical substrates of age-related cognitive decline. Psychological Bulletin, 137(5), 753-784.
Schmidt, R.F. (1979). Grundriss der Neurophysiologie. Springer: Heidelberg.
(2)
Pascual-Leone, A. (2001). The brain that plays music and is changed by it. Annals of the New York Academy of Sciences, 930(1), 315-329.